Samstag, 19. Mai 2018

SNIPSL



Habe am 18-5-18 den Vertrag mit SNIPSL abgeschlossen, um euch auch weiterhin im Voraus einige Ausschnitte aus meinen im Entstehen befindlichen Romanprojekten präsentieren zu können.
Freue mich auf die fortgesetzte Zusammenarbeit und euer Interesse.

Holt euch die SNIPSL-App! Entdeckt zahlreiche Autoren/-innen mit ihren neuesten Werken, und zwar lange vor der geplanten Veröffentlichung.

Viel Spaß und Lesefreude!

 

Sonntag, 13. Mai 2018

Muttertag



      

     Der frische Wind wehte kühl durch Hannas Haar. Still stand sie da, fast verloren zwischen den Gräberreihen. Starr war ihr Blick auf den Grabstein vor ihr gerichtet, doch sie sah ihn nicht, sondern nur die Bilder, die in ungeordneter, wirrer Folge durch ihren Kopf schossen.  
     Schreiend bunte oder kitschige Werbeflyer, auf eingemahnte Gefühle oder schlechtes Gewissen abzielende TV- und Social Media-Spots. Seltsame Interviews und herausgepresste Erinnerungen, zwischen amüsant, eigentümlich und fremdgeschämt.  Niedlich gekleidete Kinder mit einem einstudierten Gedicht auf den Lippen und die dazugehörigen Väter mit ein wenig Unbehagen in der Miene oder pflichtschuldig absolvierte Besuche mit einem krampfhaft ausgesuchten Geschenk im Arm oder vielleicht überhaupt verweigerte Besonderheit für diesen speziellen Tag, den Muttertag.
     Ein nachsichtiges Lächeln, eine strenge Miene, herausfordernde Worte, eifrige Belehrungen, eine zärtliche Geste, seltenes Lob und umso mehr als Ansporn gedachter Tadel. – Ein Geist, der sich immer mehr verwirrte. Augen, die sich fremd anfühlten und ein Körper, der sich aller freundlichen, liebevollen Erinnerungen entzog, bis die Linie letztendlich überschritten war. – Doch schon viel früher war Hanna das Sehen unerträglich geworden und nichts hatte ihr Erleichterung gebracht, keine Tränen, kein Gebet, einfach nichts.
     Sie hätte es zurückholen mögen, dieses unbeschwerte Lachen in Sevilla, dieses übermütige Wandern in langen Nachthemden in Paris, dieses innige Singen und Lesen im Advent. So viel, unendlich viel. Doch der Sand der Zeit war durch die Uhr geronnen, zu schnell und unwiederbringlich.
     Hannas Finger tasteten über den weiß-schwarzen Marmor, zärtlich beinahe und gedankenverloren. Ihren Blumengruß und das Licht würde sie dann Zuhause neben das Bild ihrer Mutter stellen. Hier hatten sie nicht mehr ihren Platz.
     Die Kühle des Steins kroch durch ihre Adern und wie Eis umklammerte es ihr Herz. Sie hatte alles verloren. Zuerst ihre Mutter, dann die Liebe ihres Vaters. Er hatte sich von einer mehr als unwürdigen Frau, die sich jetzt als seine Lebensgefährtin titulierte, einfangen lassen. Dabei hatten sie nie in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.
     Und jetzt gab es nicht einmal mehr ihr Erbe. – „Das wird sowieso alles einmal dir gehören!“ – Wie Hohn klang der Nachhall dieser Beteuerungen in ihren Ohren. Nichts war ihr geblieben als ein Geldanspruch. Ihres Vater Enterbung per Testament zerbrach alle Erwartungen, alle Träume, alle Erinnerungen.
     Ihr Blumengruß zum Muttertag, im Gedenken auf die Grabplatte gestellt, würde umgehend auf dem Mist landen; genauso wie ihr mit weißen Blumen geschmückter Kranz bei Vaters Begräbnis. Das hatte sie nicht notwendig, keine weitere Erniedrigung, keinen weiteren Hass.
     Die Wolken am Himmel wurden immer dunkler, schwerer. Doch Hanna spürte nicht die Tropfen auf ihrem Gesicht, die sich jetzt lautlos mit den Tränen auf ihren Wangen vermischten.
     Langsam löste sich der Kreis ihres Denkens auf, zerrann in Nichts, bis sie vollkommen leer war und sich schleppend vom Friedhof entfernte. Ein letzter Blick zurück – voller Trauer, Verzweiflung und unsterblicher Liebe.