Samstag, 12. Dezember 2015




     Maria konnte sich noch gut an die Weihnachtsauslage des großen Kaufhauses ihrer Heimatstadt erinnern. Jedes Jahr war dort eine bezaubernde Winterlandschaft mit beweglichen Figuren aufgebaut. Fliegende Engel, ein gütig lächelnder Nikolo, das Christkind verborgen in einer Krippe mit Stroh. Größere Spielsachen wie als Rahmen drapiert oder kleinere als Dekoration dazwischengestreut. Und eine Eisenbahn mit Dampflokomotive, die sich zwischen all diesen Kinderträumen hindurchschlängelte.
     Sie hatte sich regelmäßig die Nase an der Scheibe platt gedrückt und einmal angesichts dieser Herrlichkeiten lauthals begeistert verkündet: „Das alles mir gehört!“ Warum alle Umstehenden ein Lachen hören ließen, verstand sie damals nicht. Doch nun zauberte die Erinnerung an diesen Moment ein allzu wehmütiges Lächeln in ihr Gesicht.
     Es hatte sich nicht viel geändert. Heute war statt des Weihnachtszaubers die ganze Welt in der Auslage ausgebreitet. Präsentierte ihre anziehende Schönheit, fremde Länder mit wunderschönen Landschaften, faszinierende Natur in einem bunten Kaleidoskop, beeindruckende Bauwerke, lockende Melodien der Ferne.
     Doch Maria stand außerhalb, in der Kälte, wollte nach der Fülle des Lebens ihre Hände ausstrecken, doch berührte nur kaltes Glas, das sie von allem abschloss, sie trennte von allem, was kraftspendende Freude versprach. Würde sie jemals noch einen Abglanz aller lockenden Herrlichkeiten erhaschen? Sie fühlte sich noch viel zu jung, um wunschlos zu sein. Spürte noch zu sehr das sehnsüchtig pulsierende Blut in ihren Adern. Wollte die Rebellion in ihren Gedanken noch nicht begraben.

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